Concerto für Weingläser, Sopran und Sturmklingel

 

Es war Freitag und ich hatte keine Ahnung was ich tun sollte. Der Rücken tat mir weh, weil ich ihn mir verlegen hatte und ich überlegte, ob ich mir vor lauter Langeweile den großen Zeh abschneiden sollte. Kurz, gewaltige Ödnis war das Programm. Was tut man also in solch einem Fall? Man geht ins Internet um zu chatten und schon wählte ich mich ein. Wie es das Schicksal wollte, traf ich nach wenigen Minuten Arno im Chatroom an, ein alter Freund, den ich lange nicht gesehen hatte. Ich klagte ihm mein Leid und erklärte, ich wolle in meine Stammkneipe, hätte wiederum nicht die rechte Lust mich aufzuraffen und müsse es doch tun um mich zu bewegen und ob er denn keinen besseren Vorschlag habe, was zu tun sei. Sein Vorschlag ihn zu besuchen und mit ihm, wie in alten Zeiten etwas Wein zu trinken und sich zu unterhalten wirkte auf mich wie der Anblick einer Küste nach monatelanger Irrfahrt auf hoher, stürmischer See.

Ich sagte zu und nach einer Dusche, einer Kleinigkeit zu Essen und einer U-Bahn fahrt, langte ich zwei Stunden später bei ihm an. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass ich Arno gute drei Jahre nicht gesehen hatte und so hatten wir uns viel zu erzählen. Arno steht eigentlich auf Opern aber laut seines Berichtes hatte sich sein Musikgeschmack um einige Chansoniers, Jazz-Künstler und Schlagerinterpreten erweitert. So trällerten, während wir gemeinsam bei der dritten Flasche Rotwein anlangten, unter anderem Mireille Mathieu, Vicky Leandros und diverse französische Chansoniers abgerundet durch einige Prisen Musik aus dem Jazz Sektor, ihre, für mich ungewohnten, aber dennoch recht schönen Lieder vor sich hin. Arno und ich hatten mittlerweile mächtig einen im Tee und die Müdigkeit begann langsam unserer Herr zu werden.

„Was hältst du von einer schönen Arie zum Abschluss dieses schönen Abends, mein Lieber?" fragte Arno, während er sich schwankend erhob und seine Irrfahrt gen Stereoanlage antrat. Ich erklärte, dass es sich um einen hervorragenden Vorschlag handle und Arno legte los. Genau so wie Maria Callas, die wenige Augenblicke später erklang und mit kristallklarer Stimme um halb vier Uhr morgens in Arnos Mietwohnung, aufs schönste die Arie „E strano ... sempre libera" aus „La Traviata" intonierte. Die gläserne Lampenschale der Deckenbeleuchtung, begann die Melodie an den hohen Stellen mitzusummen. Wir beide lauschten verzückt dieser einfach großartigen Darbietung. Die Arie näherte sich ihrem buchstäblichen Höhepunkt, bei dem die Weingläser, getragen von den luftigen Höhen mehrerer Kilohertz, ihre Plätze im Regal zu tauschen begannen, ging über ins Finale und  endete mit  einem klingeln an Arnos Wohnungstür.

„Es klingelt!" sagte ich.

„Ich weiß!" sagte Arno ruhig und schwankte zur Anlage um sie leise zu regeln.

„Willst du nicht nachsehen wer uns Besuchen will?"

„Wer soll das schon sein?"

„Vermutlich dein Nachbar, der sich beschweren will." (Soviel Weitblick hatte ich noch.)

„Das denke ich auch."

„Willst du nicht öffnen?"

„Meinst du?"

„Ja, mach mal!"

„Also gut!"

Arno erhob sich wieder aus seinem Sessel und begab sich zur Tür, wobei er aufgrund seines Zustandes etwas länger brauchte als gewöhnlich, denn er nahm mehrere Abkürzungen die links und rechts des direkten Weges lagen. Ich nutzte die Gelegenheit um die Toilette aufzusuchen, wo ich dann folgenden Dialog belauschte.

Schlüsselklirr, Türaufschließ!

„Ja, bitte?

„Haben sie mal auf die Uhr gesehen, es ist halb vier Uhr morgens und sie haben die Musik so dermaßen laut das ich aufgewacht bin, das ist ja wohl eine absolute Frechheit, murmel murmel, unerhört, murmel, murmel"

Arnos Antwort war dann nur...

„Also hören sie, Ich finde es VÖLLIG unangebracht, das SIE morgens um halb vier im MORGENMANTEL vor meiner Wohnung auftauchen und sich beschweren. Es ist ja nicht so, dass das alle Tage vorkäme und außerdem habe ich Besuch und wir wollen bald schlafen gehen. Sie sehen ihr Ärger ist völlig aus der Luft gegriffen, ich wünsche ihnen eine Gute Nacht."

 

Nach einigen kurzen, wütenden Bemerkungen, seitens des Nachbarn, schloss Arno die Tür und ich ging wieder ins Wohnzimmer, wo ich Arno vorfand, wie er mit einem diabolischen Grinsen eine weitere CD angefüllt bis zum Rand mit hohen Noten, in den CD-Player einlegte und mit noch böserem Lächeln den Lautstärkeregler auf den Anschlag drehte. „So ein Arschloch!" meinte Arno, „der findet immer was neues um sich aufzuregen! Der geht mir schon auf den Keks, seit ich hier eingezogen bin. Wie kann dieser Arsch, dieser Kulturbanause, sich nur wegen Maria Callas aufregen. wenn es nun Renata Tebaldi gewesen wäre, hätte ich ja noch ein bisschen Verständnis. Dem gönnen wir jetzt noch was Gutes zum Dessert!" Augenblicklich erklang „Oh Don fatale, oh Don crudele" (die Arie der Prinzessin Eboli aus Don Carlos) Kaum hatte Frau Callas ihre berühmtes Stimme durch sämtliche Wände und Decken geschickt, klingelte es erneut, was Arno geflissentlich ignorierte.

„Willst du nicht öffnen?"

„Nö, warum sollte ich, ich weiß doch wer draußen steht."

„Ja, aber das ist doch unhöflich."

„Das ist mir egal!" sagte Arno und sang ein wenig mit.

Dazu muss ich sagen, dass Arno, genauso wie ich, höchstens den Florence Foster Jenkins Gedenkpreis für Gesang verdient. *

Nach einiger Zeit ließ das Sturmklingeln nach und Arno schaltete die Anlage ab um sich Bettfertig zu machen. Kaum hatten wir uns hingelegt um uns in die Arme des wohlverdienten Schlafes fallen zu lassen, klingelte es erneut. Und zwar Sturm, beziehungsweise Tornado.

„Es klingelt schon wieder!"

„Ja!"

„Warum klingelt er denn jetzt, es ist doch Ruhe?"

„Ich weiß es nicht."

„Willst du nicht öffnen?"

„Nein, will ich nicht."

„Soll ich vielleicht gehen?"

Das klingeln ließ nach.

„Meinst du?"

„Ich trau mich nicht so wirklich, lustig wäre es ja schon."

„Dann geh doch."

„Nee, geh’ du lieber, du liegst näher an der Tür!"

„Also gut!"

Arno stand auf schlurfte zur Tür, öffnete sie, holte Luft und... schloss sie wieder.

„Da ist keiner!"

„Der wird wohl weggegangen sein."

„Das vermute ich auch."

„Der ist bestimmt sauer."

„Das ist mir egal."

„Gute Nacht, Arno."

„Gute Nacht, Uwe."

 

 

 

* Florence Foster Jenkins erlangte zweifelhaften Ruhm dadurch, dass ihr sehr betuchter Mann in den vierziger Jahren ein Opernhaus samt bezahltem Publikum anmietete, um ihren Wunsch einer Opernkarriere zu erfüllen. Frau Foster Jenkins hatte nicht das geringste Talent zum Gesang und Ihre Darbietung der Arie der Königin der Nacht aus der Zauberflöte, rührte den verzückten Zuhörer zu Tränen.... der Verzweiflung. Gott sei dank hatte ihr Mann dem Publikum zur Auflage gemacht, dass es auf gar keinen Fall lachen dürfe, sondern ganz im Gegenteil begeistert zu sein habe. Ich glaube Florence war wirklich glücklich, denn sie ließ tatsächlich eine Vinylplatte mit (Ich glaube sechzehn) Arien pressen, die sich meines Wissens sogar recht gut verkaufte.

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